„Ich war 23 und mir wurde zum ersten Mal klar, wie sehr meine Prioritäten aus dem Ruder gelaufen sind.“

Benjamin Adrion, Founder von Viva con Agua


Viva con Agua wurde als soziales Projekt schon vor 15 Jahren gegründet. Seither setzen sie sich für den Zugang zu sauberem Trinkwasser für alle Menschen ein. Darüber hinaus legt Viva con Agua besonderen Wert auf den Aufbau einer freudvollen Community, die sich mit Spaß und Leidenschaft engagiert, denn warum soll soziale Arbeit immer beschwerlich sein?, verrät uns Gründer Benjamin Adrion (Benny). Mittlerweile hat Viva con Agua nicht nur ein enormes Netzwerk an Supportern und Mitarbeitern aufgebaut, sondern ist auch in mehreren Ländern vertreten. Wir haben mit Benny und seinem Co-Founder Micha Fritz über die Entstehungsgeschichte und deren Motivation gesprochen.


Ihr habt Viva con Agua bereits vor 15 Jahren gegründet. Was war damals der Auslöser für diesen Schritt?

Benny: Der Auslöser war eigentlich eine Reise nach Jamaika. Für mich ein besonderes Land mit seinem ursprünglichen Vibe und der Rasta-Kultur. Auf der Rückfahrt blieben wir für einen Zwischenstopp in Miami Beach, wo mir all die Stretch Limos und die vielen schönheitskorrigierten Menschen auffielen. Es sah im ersten Moment nach einer coolen Party aus, je genauer man hinschaute, desto mehr sah man: alles Plastik, hohl, keine Qualität, Trash! Alter, dachte ich nur, und das soll jetzt Fortschritt sein? Das wird uns als erstrebenswert verkauft, als Entwicklung? Ich war 23 und mir wurde zum ersten Mal klar, wie sehr unsere Prioritäten aus dem Ruder gelaufen sind. Ein augenöffnender Moment. Heute halte ich es für sehr empfehlenswert, sich ab und zu in Ländern aufzuhalten, in denen nicht der westliche Standard herrscht, wo die eigene Perspektive geraderückt wird und man feststellt, wie privilegiert wir sind.

Etwa zwei Jahre später wollte ich eigentlich eine Weltreise machen und schauen, wie ich mich sozial einbringen und etwas verändern könnte, mein damaliger Trainer beim FC St. Pauli rief mich aber an und wollte mir einen neuen Vertrag geben. Ich überlegte kurz, entschied mich für den Vertrag und dafür, die Möglichkeiten des Umfeldes vom FC St. Pauli zu nutzen, um einen anderen, freudvollen und mit viel Spaß verbundenen Zugang zu sozialem Engagement zu ermöglichen. Die Idee war: Netzwerk, Community, All Profit und jetzt Rock’n’Roll für das Gute in der Welt! Daraus ist dann Viva con Agua entstanden. Auf der Trainingsreise mit dem FC St. Pauli war mir deutlich geworden, dass Wasser nicht für alle Menschen selbstverständlich ist und danach kam der Kontakt zur Welthungerhilfe zustande, die ein Projekt in Kuba hatten. So kam eines zum anderen. Micha war dann von der ersten Minute an am Start.



Erzählt uns bitte, worauf ihr euren Fokus legt und was euer Job heute ist.


Micha: Offiziell haben wir beide schon viele Positionen durchlaufen. Geschäftsführung der Wasser GmbH, die das Mineralwasser macht, Geschäftsführung von Viva con Agua Arts, die die Millerntor Gallery veranstaltet, Vorstand der Stiftung etc. Wir erweitern den Kosmos der Viva con Agua Familie stetig und da kommen auch immer wieder neue Rollen auf uns zu. Mein Fokus liegt zurzeit auf Kommunikation und Aktivismus. Ich darf freies Radikal sein und tun, was ich am besten kann. Manche bezeichnen mich als Konzeptionsaktivist, ich lasse das mit den Konzepten lieber weg.


Benny: Ich lebe zurzeit mit der Familie in Südafrika, wo Viva con Agua zwei Meilensteine erreicht hat: mit dem Aufbau von Viva con Agua in Südafrika, wo wir zum ersten Mal ein eigenes implementiertes Projekt umsetzen, gehen wir den nächsten Schritt, um eine internationalere Organisation zu werden. Außerdem haben wir mit der Villa Viva Capetown einen Ort erschaffen, der in Zukunft eine tolle Gelegenheit bietet, als Social Business Wasserprojekte zu unterstützen, aber auch um Menschen aus aller Welt zusammenzubringen, an sozialen und innovativen Projekten zu arbeiten und eine gute Zeit zu haben.



Wie habt ihr euch kennengelernt?


Benny: Wir sind zusammen zur Schule gegangen und erwachsen geworden. Neben Micha waren auch Lars Braitmayer und Tobias Rau dabei, die auch heute noch bei Viva con Agua arbeiten. In Ludwigsburg gab es eine Bar, die uns, als wir dafür eigentlich noch zu jung waren, schon Metaxa ausgeschenkt hat. Dort haben wir uns ab und zu getroffen, das hat uns zusammengeschweißt.

Heutzutage gibt es ja unzählige Non-Profits, Initiativen, Foundations, wie man sich für seine Umwelt und Mitmenschen einsetzen kann. Wieso habt ihr euch für diesen Bereich entschieden?

Micha: Erstmal: Wir bezeichnen uns nicht als Non-Profit- Organisation. Das klingt so spaßbefreit. Wir sehen uns als ALL-Profit-Organisation. Das trifft es viel besser, denn wir möchten, dass alle, die an Aktionen und Projekten von Viva con Agua beteiligt sind, davon profitieren, sich weiterentwickeln können, Spaß dabeihaben.

Benny: Vor dem Hintergrund ist das alles auch entstanden. Aus dem Umfeld des FC St. Pauli heraus. Ein Verein mit einer sehr sozial- und gesellschaftskritischen Fanbase. Hinzu kam mein persönlicher Drang Ungleichheit auszugleichen, mich zu engagieren, etwas Gutes zu tun. Wie gesagt, es kam eins zum anderen.


Mittlerweile habt ihr euch ein enormes Netzwerk an Unterstützern aufgebaut, habt 50 festangestellte Mitarbeiter*innen, über 10.000 ehrenamtliche Supporter*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, vier Social Businesses und verschiedene Vereine in den Niederlanden, in Österreich, der Schweiz, Uganda und seit neuestem auch in Südafrika. Das spricht sehr für euer Engagement. Was waren für euch elementare Meilensteine, an die ihr auch heute noch stolz zurück denkt?


Benny: Du hast viele gerade selbst angesprochen. Alles, was die Familie vergrößert ist und mehr Menschen involviert, ist großartig.


Mic

ha: Die Frage ist auch immer ein bisschen wie wir dahin gekommen sind. Die Erfindung der

Pf

andbecherspende durch unseren langjährigen Marketingleiter Moritz Meier hat uns nicht nur Hunderttausende Euro Spenden eingebracht, sondern auch Kontakt zu den jungen Menschen auf den Festivals, die sich heute für sauberes Trinkwasser engagieren. Außerdem konnten wir so auch die vielen Musiker*innen von uns überzeugen und einbinden. Oder die Millerntor Gallery im Stadion des FC St. Pauli, zu der mittlerweile knapp 20.000 Menschen kommen, wenn sie stattfinden kann. Für mich persönlich war auch der Wassermarsch 2008 ein Highlight, als wir von Hamburg nach Basel gelaufen sind, um in vielen Städten die Hörsäle zu crashen, kleine Blockpartys zu veranstalten und einfach Aufmerksamkeit zu generieren. Am Ende startete in Basel die Fußball-EM und Viva con Agua Schweiz wurde direkt gegründet. Das war geil. Nachzulesen übrigens in unserem Buch, das wir zu unserem 15. Geburtstag herausgegeben haben. Da stehen alle Anekdoten drin – und natürlich noch viel mehr.


Benny: Den Wassermarsch haben wir dann auch nochmal in Afrika wiederholt. Wir sind 550 Kilometer von Kigali in Ruanda nach Kampala in Uganda gelaufen. Das war für mich noch ein ganz persönliches Highlight.



Wird man nach so langer Zeit nicht irgendwann müde ein Business zu führen?

Benny: Nein! Wir haben ständig neue Ideen, es kommen ständig neue Sachen dazu. Abgesehen von Corona dürfen wir immer wieder tolle Dinge erleben, Menschen kennenlernen, die wir sonst nie kennengelernt hätten. Das ist großartig. Wir haben noch so viel zu tun.

Micha: Gleichzeitig sind wir uns unserer privilegierten Situation bewusst. Es geht ja nicht darum ein Business für uns zu bauen. Wir wollen gesellschaftliche Veränderungen anstoßen, wir setzen uns auch für Gendergerechtigkeit und gegen Rassismus ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwann der Augenblick kommt, wo wir uns zurücklehnen. Klar, manchmal gibt es Phasen, die sehr anstrengend sind und danach ist es nötig Pause zu machen, aber müde? Nee.


Wie behaltet ihr die Euphorie in schwierigen Zeiten?

Benny: Das hat sicher auch was mit intrinsischer Motivation zu tun, wir kriegen aber auch immer wieder viel zurück. Vom Leben, von den Menschen, deren Lebensbedingungen wir durch den Zugang zu Wasser deutlich verbessern, von den Ehrenamtlichen. Das ist meist Motivation genug. Außerdem gönnen wir uns genug Ausgleich.


In einem Interview hat der Viva con Agua Geschäftsführer Arne Vogler mal gesagt, dass soziales Engagement nachhaltiger ist, wenn es aus einer positiven Stimmung heraus passiert. Was tut ihr, um diese positive Stimmung zu wahren?

Benny: Wir haben das tief in unseren kulturellen Grundannahmen verankert. Wir wollen bei allem, was tun, auch immer eine Spaßkomponente haben – und das gilt für alle Mitarbeiter*innen. Warum soll soziales Engagement immer beschwerlich sein, immer ein „Extra“, das man quasi mit letzter Kraft tut und das meistens auch schlecht bezahlt ist? Von dieser Denkweise müssen wir uns ganz schnell verabschieden, sonst wird sich unsere Gesellschaft nicht zum Positiven verändern. Außerdem ist es eine Frage der Organisationsentwicklung. Wir versuchen auch den Mitarbeiter*innen einen Rahmen zu bieten, der ihnen alle Möglichkeiten der Entfaltung lässt, sodass alle möglichst häufig tun, was ihnen Spaß bereit.


Woran arbeitet ihr im Moment?

Micha: Wir wollen eine noch internationalere Organisation werden. Coronabedingt starten wir aber auch digital durch und entwickeln neue Formate. Dazu haben wir mit VC:X nun auch eine Kommunikationsagentur aufgebaut.

Benny: Außerdem wird die Villa Viva auch nach Hamburg kommen. Da sind wir nun in der Bau-Phase.


www.vivaconagua.org

@vivaconagua

Inspired Magazine  © 2023 All rights reserved.

Scroll To Top