„Ich habe den Mietvertrag ohne stehende Finanzierung unterschrieben. Das hätte also auch ordentlich nach hinten losgehen können.“

Christin Siegemund, Gründerin von foodlab Hamburg

Credit: www.britaplath.com


Christin Siegemunds Lebenslauf ist alles andere als gerade. Lustigerweise wurde ihr das bei Bewerbungsgesprächen immer vorgehalten – inzwischen ist das ihre größte Stärke, denn aus all diesen Jobs hat sie ihren eigenen kreiert.

Ganz ursprünglich war die Gründerin des foodlabs Werberin, hat dann aber irgendwann die Seite gewechselt und das Marketing eines mittelständischen Unternehmens geleitet. Zwischendurch hat Christin aber auch schon Hochzeiten organisiert und Straßenfeste mit umgesetzt, in einem Verlag gearbeitet und Promotions gemacht. Zuletzt hat sie in ihrer Elternzeit nebenberuflich als freie Marketingberaterin u.a. für Food Startups gearbeitet und einen eigenen Foodblog betrieben. Der Job, der sie heute glücklich macht, ist ihr eigenes Business: das foodlab in Hamburg, ein Co-Working Space, in dem sich Foodblogger und dergleichen mit ihrer Leidenschaft austoben können.


Liebe Christin, erkläre uns bitte das Konzept hinter foodlab.

Das foodlab ist eine Art „Place to be“ für Foodies. Hier ist jeder willkommen, der etwas mit Food und Beverage zu tun hat: es gibt einen Coworking Space (nur für Foodies), außerdem verschiedene Küchen zum Entwickeln, Produzieren, Fermentieren und zum Testen. Es gibt ein Foto- und Eventstudio, in dem hübscher Content produziert werden kann oder Veranstaltungen stattfinden können. Und außerdem gibt es ein hauseigenes Café, in dem wir, neben einem Hauskaffee, nicht nur wechselnde Gastkaffees anbieten, sondern auch Hausgebackenes, frische Stullen und ganz viel Snacks & Sweets von den Startups aus unserem Haus. Zum Café gehört übrigens auch ein Shop, in dem unkompliziert die ersten Produkte verkauft und so auch getestet werden können.

Wann wurde dir bewusst, dass es noch Bedarf für ein solches Konzept gibt?

In meiner Zeit als freie Beraterin ist mir in der Zusammenarbeit mit den Food Startups schnell bewusst geworden, dass eine Menge fehlt, um reibungslos sein Business voranzutreiben. Küchen, wenn es sie überhaupt gab, waren immer im Speckgürtel Hamburgs – für Startups kaum erreichbar, wenn kein Auto vorhanden ist. Ebenso gab es keinen Ort für die Foodszene. Es gab zwar einen Stammtisch und der Output dieser Abende, an denen sich die Startups ausgetauscht haben, war so wertvoll. Aber danach war der Austausch wieder vorbei, weil jeder in seinem Alltagswahnsinn abtaucht.

Ich habe dann recherchiert nach einem Ort für Alle und festgestellt: so etwas gibt es noch nicht. Und das weltweit! Es gab 2018 zwar schon einige Food Hubs, zum Beispiel in Kopenhagen oder in den USA, aber das waren ausschließlich Co-Working Spaces. Da gab es weder Küchen, Popup Restaurant, Fotostudio oder eine Kaffeerösterei. Und ich dachte mir: es wäre doch viel praktischer, wenn alles unter einem Dach ist!

Wir haben gelesen, dass hinter deinem Business kein Investor steht, sondern du alles in Eigenregie gestemmt hast. Woher kam dieser Entscheid?

Diese Entscheidung hat sich, wie so vieles, ergeben. Ich habe die Dinge immer laufen lassen. Zuerst kam die Suche nach einem Investor nicht in Frage, weil ich den finanziellen Umfang des Projekts noch gar nicht fassen konnte. Später dann hatte ich weder Zeit noch Kapazität einen Investor zu suchen. Und weil ich die Finanzierung, die zum Teil über einen Bankkredit läuft, auch so hinbekommen habe, war der Bedarf einfach nicht vorhanden. Aber, unter uns: wäre meine Finanzierung über die Bank nicht zustande gekommen, hätte ich wahrscheinlich eine Pause einlegen müssen und erstmal einen Investor suchen müssen. Wobei ich, ehrlicherweise, den Mietvertrag ohne stehende Finanzierung unterschrieben habe. Das hätte also auch ordentlich nach hinten losgehen können. Ist es aber nicht.

Welches Budget musstest du für deine Gründung aufbringen?

Wir reden schon über viel Geld. Aber dabei ist ja das eine der Ausbau, also Kosten für Handwerker, Architekt und Gebühren. Viel spannender finde ich die Planungsphase vorher, die ja auch finanziert werden muss. Ich habe im Mai 2018 entschieden, alle meine Projekte als freie Beraterin auf Eis zu legen und mich komplett auf das foodlab konzentriert. Nebenbei hatte ich nur noch meinen Blog. Über den habe ich meine monatlichen Kosten querfinanziert. Anders ging es nicht, ich brauchte so gut wie meine komplett verfügbare Zeit, um Menschen zu treffen, zu reden, zu netzwerken.

Wie hast du emotional diesen Schritt und die Investition in dein eigenes Business verarbeitet? Hattest du einen Plan B parat?

Nein. Den hatte ich nie. Natürlich ist mir zwischendurch auch mal schwindelig geworden als ich die Zahlen gesehen habe – und das wird es mir immer noch. Aber ich kenne ja die Gesamtzahlen. Trotzdem lastet der Druck natürlich ordentlich, dass die Kosten wieder hereingeholt werden müssen. Aber darüber tausche ich mich aus, mit engen Vertrauten, mit meinem Team, versuche mich selber zu motivieren und am Ende des Tages wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Ich denke auch nicht immer an den schlimmsten Fall. Meine Hebamme hat mir vor der Geburt meiner Zwillingstöchter immer gesagt: wir machen uns erst Gedanken über die Lösung, wenn das Problem da ist. Damit hat sie sehr recht gehabt und das übertrage ich regelmäßig in mein Business. Alles andere würde mich den Fokus verlieren lassen.


Du beschreibst dein Konzept bisher als weltweit einzigartig. Als wie herausfordernd empfindest du es, eine Mission zu verfolgen, die bisher noch keine Vorreiter hat?

Das ist auf der einen Seite sehr spannend, gerade als Frau. Ich wurde häufig unterschätzt, vor allem in Männerrunden. Viele Menschen haben mir das Projekt am Anfang nicht zugetraut. Gar nicht, weil ich dem nicht gewachsen bin, sondern weil dieses Projekt so groß ist.

Auf der anderen Seite kann mir niemand sagen, wie es geht, denn: das war ja noch nie da! Mir macht es Spaß, neue Wege zu gehen, anders zu denken, Dinge zu hinterfragen oder komplett in Frage zu stellen, flexibel und schnell zu agieren. Diese Eigenschaften helfen sehr, außerdem die Tatsache, dass ich nicht jeden Morgen in den Spiegel sehe und mich als Vorreiter wahrnehme, sondern einfach meine Todo‘s abarbeite.

Nun hatten wir schon einige Co-Working Spaces im Interview, denen es von Behördenseite in der Umsetzung ziemlich schwer gemacht wurde. Wie empfindest du das? Gab es irgendwelche speziellen Genehmigungen oder Lizenzen, die du für dein Konzept einholen musstest?

Ich muss sagen, dass ich sehr viel Glück hatte. Die Hamburger Hafencity ist ein sehr junger Stadtteil und der Bezirk tut sehr viel dafür, dass Konzepte vor Ort umgesetzt werden. Die Baugenehmigung hatte ich nach knapp 8 Wochen, eine Änderung der Betreiber-Bedingung innerhalb von einer Stunde.

Was eher etwas aufwändiger war, ist die Anmeldung und Beschaffung einer Schanklizenz… da mahlen die Mühlen sehr langsam.

Wie funktioniert dein Pop-Up-Konzept und wer kann sich dafür bewerben?

Jeden Monat wechselt der Betreiber, also ob Koch, Gastronom, Caterer, Food Trucker, Unternehmen oder jemand, der eine Idee im Kopf hat: alle sind herzlich willkommen um Ideen auszutesten. Das geht mittags und/oder abends. Zur Verfügung stellen wir das Restaurant samt Mobiliar, einsehbarer Küche, Kassen- und Reservierungssystem. Der Mieter bringt dann „nur noch“ sein Team und die Ware mit und kann sich dann komplett austesten.

Im ersten Monat betreiben wir abends übrigens mit einem eigenen Konzept, um Prozesse und Strukturen zu lernen und um unsere Küchenchefin vorzustellen, die an sehr spannenden Orten war, bevor sie zurück an die Elbe gespült wurde.

Dein ganzes Team besteht aus Frauenpower. Warum war dir diese Konstellation so wichtig?

Das war gar nicht beabsichtigt, sondern hat sich so ergeben. Alle Teammitglieder habe ich nie wirklich gesucht, sondern sie haben mich gefunden, meistens haben sie mich via Instagram angeschrieben. Nur die Küchenchefin habe ich aktiv gesucht. Zu dem Zeitpunkt waren alle Positionen bereits mit Frauen besetzt und in der Konsequenz habe ich mir auch eine Frau in der Küche gewünscht. Zum einen, weil ich unter den männlichen Bewerbern nicht die richtige Person gefunden habe, zum anderen, weil es in dieser – sehr hierarchisch aufgestellten Branche – kaum Küchenchefinnen gibt. Das will ich für das foodlab nicht. Wir sind nach Kompetenzen aufgestellt, nicht nach dem Titel auf der Visitenkarte steht. Mein Ziel ist es, Transparenz, Vertrauen und Verantwortung in den Vordergrund zu stellen und ich verstehe uns als Team, das sich gegenseitig unterstützt und auch mal einspringt, wenn es Zuhause oder irgendwo anders brennt.

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@foodlab.hamburg

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