Isabelle Possehl, Founder von botties
Was aus innovativen Ideen entstehen kann, wenn kein finanzieller Erfolgsdruck dahintersteht, sieht man schnell beim Start-up mabottie. Ursprünglich als Projektarbeit ausgeklügelt, ist Gründerin Isabelle Possehl während eines Semesters im Bereich Modedesign nicht nur auf die tolle Idee von DIY-Schuhen gekommen, sondern hat diese Idee auch zu einem sehr erfolgreichen und mittlerweile internationalen Trendprodukt aufgebaut. Wir haben mit Isabelle darüber gesprochen, wie genau der DIY-Schuh funktioniert und warum man als Start-up lieber langsam und gesund wachsen sollte, als zuviel auf einmal zu wollen.
Liebe Isabelle, was hast du vor deiner Selbstständigkeit gemacht?
Ich habe, nachdem ich 2003 die klassische Schullaufbahn mit dem Abitur beendet habe, verschiedene Praktika gemacht, unter anderem in einer Stuttgarter Designagentur und in der Innovationswerkstatt der Daimler AG. Für mein Studium der Visuellen Kommunikation an der Hochschule Pforzheim war diese Orientierungsphase und Praxiserfahrung eine Voraussetzung. Anschließend habe ich studiert und nebenher immer auch als Werkstudentin und Freelancerin in Agenturen gejobbt. Ein Semester habe ich in Kanada verbracht und dadurch meinen Horizont noch einmal erweitert. Nach meinem Abschluss bin ich zielstrebig, wenn auch über kleine Umwege, in die Selbstständigkeit gestartet. Allerdings nicht direkt mit der mabottie GmbH, sondern zunächst mit der Gründung des Designstudios DMBO.
Wie kam die Idee zu Botties?
Unsere Hochschule in Pforzheim ist ziemlich interdisziplinär. Das ermöglichte mir einen Einblick in andere Designdisziplinen. Ich wollte mein Diplom noch etwas hinauszögern und schrieb mich während eines Freisemester im Bereich Modedesign ein. Dabei bin ich voll auf den Schuh gekommen. Meine Projektarbeit war freiwillig und ohne Auswirkung auf mein Diplom. Ich hatte großen Spaß, da ich keinen Druck verspürte. Das tat mir und dem Projekt ganz gut. So kam es, dass mein Konzept für den Fashion Future Footwear Award des Hauptverbands der deutschen Schuhindustrie nominiert wurde. Und schließlich belegte ich sogar den zweiten Platz. Die Auszeichnung fand 2008 auf der größten internationalen Schuhmesse in Düsseldorf statt und eröffnete mir Einblicke in die Schuhbranche. Ich knüpfte Kontakte und vor allen Dingen holte ich mir jede Menge Motivation. Die Idee hat sich in den Jahren darauf gedanklich weiterentwickelt. Erst 2016, also acht Jahre später, habe ich begonnen von der Theorie in die Praxis überzugehen.
Wenn wir es richtig verstanden haben, beruht deine Idee auf einem DIY-Konzept, heißt also, dass deine Kunden [ihre eigenen Schuhe] selbst machen. Wieviel Kenntnis braucht man und wieviel Anleitung erhält man beim Kauf eines Kits?
Genau: unser Produkt ist eine spezielle Sohle, die es ermöglicht mittels klassischer Handarbeit einen Schuh herzustellen. Tatsächlich sind für unsere Basismodelle auch nur Grundkenntnisse der gewählten Handarbeitstechnik notwendig. Unsere DIY-Schuhe sind im Herstellungsprozess stark vereinfacht. So verzichten wir auf Kleber und Schusterleisten und arbeiten mit einfachen Schnitt- und Häkelmustern. Als Werkzeug kommen haushaltsübliche Utensilien zum Einsatz. Die Botties, so nennen wir unsere DIY-Schuhe, können nicht nur genäht oder gehäkelt werden. Auch Stricken und andere Techniken sind möglich. Unsere Anleitungen führen Schritt für Schritt durch den Prozess und geben Tipps, wie man die Schuhe an den individuellen Fuß anpassen kann. Ob man die Schuhe nur zu Hause anzieht oder damit auch auf die Straße geht, bleibt jedem selbst überlassen. Beides ist möglich.
Wieviel Kenntnisse der Branche und der Schuhproduktion hattest du bei der Gründung mitgebracht?
Ganz ehrlich? Sehr wenige. Ich habe das aber nie als einen Nachteil gesehen. Schließlich bin ich ja kein Schuhhersteller im klassischen Sinn und ich wage mich auch nicht in die Bereiche der Fuß-Orthopädie. Mir war vor allen Dingen eines wichtig: Sie sollten bequem, praktisch und modisch vielfältig sein. Dass sie darüber hinaus auch noch das Potenzial zur Nachhaltigkeit haben, wurde mir erst später bewusst. Im Laufe der letzten Jahre habe ich viel hinzugelernt und meine fachlichen Ambitionen sind stetig gewachsen. Das wird sich in unseren kommenden Produktentwicklungen sicherlich widerspiegeln.
Deine Mutter Claudine ist ebenfalls ins Geschäft mit eingestiegen. Welche Rolle spielt sie im Business und was macht euer Mutter-Tochter-Gespann so erfolgreich?
Als wir die mabottie GmbH 2016 gegründet haben, war meine Mutter gleich mit an Bord. Sie war von Anfang an eine wichtige Stütze im Unternehmen: zum einen als Kapitalgeberin, zum anderen als Handarbeitsprofi. Ihre Leidenschaft fürs Häkeln hat es uns ermöglicht mit dieser Technik zu starten. Noch heute sind unsere „Häkelbotties“ die bekanntesten und beliebtesten Modelle unter unseren DIY-Schuhen. Während sie also die Produktentwicklung im Bereich der Handarbeit betreut hat, hatte ich mich allen anderen Aufgaben verschrieben. Das waren (und sind) nicht gerade wenige. Dazu gibt es auch einen „Fun Fact“: Ich habe es bis heute noch nicht geschafft, einen einzigen Botties Schuh fertigzustellen. Immer wieder habe ich damit begonnen, ob für mich oder meine Kids, oder einfach nur um etwas Neues auszuprobieren. Aber, obwohl ich praktisch in der Lage wäre, fehlt mir doch schlicht und ergreifend die Zeit dafür. Darüber darf man gerne den Kopf schütteln. Aber es zeigt eben auch: in einem guten Team muss nicht jeder alles machen oder können. Wichtig ist, dass sich die Aufgaben gut verteilen. Meine Mutter oder eine unserer Mitarbeiterinnen haben meine Projekte dann dankenswerterweise zu Ende geführt. Übrigens: in der Theorie bin ich Profi. Da ich die Häkelanleitungen meiner Mutter schreibe, muss ich sie selber verstehen können. Ich bilde mir ein, dass das der Verständlichkeit der Anleitung zugutekommt.
mabotties
Das Design eurer Sohlen ist ja auch schon geschützt. Wann wurde euch bewusst, dass dies ein erforderlicher und wichtiger Schritt sein müsste und wie aufwändig war dies?
Direkt nach der Gründung war die Zeit erst einmal geprägt von Produktentwicklung. Ich hatte ja nur die Idee, das Ergebnis kannte ich bis dato noch nicht. Mit den ersten Prototypen der Sohle setzte ich mich dann auch mit Schutzrechten auseinander. Die Sorge, dass plötzlich ein größerer Wettbewerber auf meine Idee aufspringen würde, saß mir immer ein bisschen im Nacken. Ich ließ mich von einem Patentanwalt beraten und bin – um Geld zu sparen – selbst in die Recherche eingestiegen. Ich musste herausfinden, ob ich mit meiner Entwicklung die Rechte anderer verletzen würde. Dafür verbrachte ich etliche Stunden im Amt für Marken- und Patentschutz in Stuttgart. Die Erkenntnis war, dass meine Sohle zwar sehr innovativ ist, eine Garantie für ein Patent wollte mir aber leider keiner geben. Das Risiko, bei einer nicht erfolgreichen Anmeldung viel Geld zu verlieren, war mir schließlich zu groß. Ich beschloss daher, nur das besondere Design zu schützen und meinen Fokus auf eine erfolgreiche Markenentwicklung zu legen. Eines habe ich dabei auf jeden Fall gelernt: Patente, Design und auch Markenschutz sind zeitintensive Prozesse, aber elementar wichtig. Wer das notwendige Kapital hat, kann die aufwendige Recherchearbeit natürlich abgeben. Ich hatte es damals nicht. Von meinen gelernten Erfahrungen profitiere ich jedoch noch heute.
Wie vertreibt ihr heute eure Schuhe? Führt ihr einen eigenen Store oder geht ihr über den Großhandel?
Unser Vertrieb ist für ein Start-up ziemlich komplex. Wir vertreiben gleich über mehrere Kanäle. Aktuell gehen nicht einmal 20 Prozent unserer Verkäufe über unsere digitale Ladentheke. Im Botties-Onlineshop bieten wir neben unseren Sohlen auch gleich die passenden Materialien, Anleitungen und Inspirationen. 40 Prozent vertreiben wir direkt an den Fachhandel. Die Kunden sind Multichannel-Unternehmen – entweder mit einem großen Filialnetz oder Kataloghändler. Die anderen 40 Prozent gehen an den deutschen und teilweise internationalen Großhandel. Viele Vertriebswege bedeuten aber auch große Herausforderungen in der Preiskalkulation und bei Lager und Logistik. Es sollte also wohlüberlegt sein. Im Nachhinein denke ich mir, hätten wir uns stärker auf den direkten Vertrieb fokussieren sollen. Aber so ist es nunmal: Versuch macht klug. Wir wissen nun worauf es uns ankommt. In der dreistufigen Distribution erlebten wir bisher die größten Enttäuschungen. Daher gehen wir bei der Partnerwahl sehr viel selektiver vor oder probieren auch mal ganz neue Wege und Kooperationen. Den direkten Vertrieb – zum Konsumenten aber auch zum Fachhandel – wollen wir dafür offensiv ausbauen.
Welche Rolle spielen Messen in eurer Vertriebs- und Marketingstrategie? Könnt ihr als Start-up eine Präsenz auf Messen weiterempfehlen?
Die Messen waren tatsächlich entscheidend für unser Vorankommen. Die erste Messe, nur wenige Monate nach der Gründung, war auch gleichzeitig unsere erste ernstzunehmende Marktanalyse. Wir hatten ein paar Dutzend Prototypen dabei und testeten, wie sie beim Endverbraucher ankamen. Tatsächlich wurden sie uns aus den Händen gerissen. Medien wurden auf uns aufmerksam. Ich erhielt durch die Kunden interessante “Die Sorge, dass plötzlich ein größerer Wettbewerber auf meine Idee aufspringen würde, saß mir immer ein bisschen im Nacken. Impulse für die Weiterentwicklung des Produkts und nutzte die Medienberichte um den ersten Onlineshop zu launchen. Die zweite Messe, ein Jahr später, hatte ein internationales Fachpublikum. Mit gerade einmal drei Schuhgrößen präsentierten wir uns auf 6qm, dem kleinsten Stand auf dem Messegelände. Nach drei Tagen wie im Rausch kehrten wir mit einem dicken Ordner nach Hause. Er war gefüllt mit Anfragen aus der ganzen Welt. Bis heute haben wir allerdings nur wenige davon bearbeitet. Wir waren schlichtweg überfordert und auch noch nicht gut genug vorbereitet auf diesen „Run“. Beflügelt von dieser Erfahrung nahmen wir aber unseren Mut zusammen und stockten durch Förderkredite unser Kapital auf. Wir mussten in weitere Schuhgrößen investieren und unser Angebot insgesamt für den Handel optimieren. Ein weiteres Jahr später standen wir wieder auf dieser Messe. Unsere erneute Präsenz überzeugte nun auch die letzten – bis dahin eher zurückhaltenden – Beobachter, uns ernstzunehmen. Im Rückblick denke ich, dass die internationale Ausrichtung der Messe uns zu früh vom Fokus abgelenkt hat. Es hätte uns sicher gutgetan, erst einmal den deutschen Markt aufzurollen. Daher gebe ich das gerne als Tipp an andere Gründer weiter: Messen ja, aber nicht zu viel auf einmal wollen!
2019/2020 habt ihr den Weg der Expansion eingeschlagen und seid über die Landesgrenzen hinaus. Erzählt uns bitte, wie ihr diese Zeit erlebt habt.
Die internationale Ausrichtung fand ich persönlich sehr wichtig. Auch wenn sie möglicherweise ein bisschen zu früh erfolgte. Themen wie Export und Logistik, Preiskalkulation für andere Märkte, mehrsprachige Produktbeschreibungen und Publikationen verlangten ganz schön viel von uns ab – und tun es immer noch. Andererseits beobachten wir gerne und nicht ohne Stolz, wie sich unser Produkt in anderen Ländern und Kulturen entwickelt. Soziale Netzwerke wie Instagram, ermöglichen uns, trotz der Distanz, nah dabei zu sein. Aktuell schauen wir sehr gerne nach Japan, wo auch ein Anleitungsbuch für Botties im Verlag des japanischen Staatsfernsehens erschienen ist – unter Federführung unserer großartigen japanischen Handelspartnerin. Ebenso spannend ist es für uns in die USA zu blicken: denn dort starten wir gerade ganz frisch mit einer eher untypischen Kooperationspartnerin in den Vertrieb: statt mit einem erfahrenen Distributor wollen wir den nordamerikanischen Markt mit einer Garn-Influencerin und Unternehmerin erobern.
Die Zeit der Pandemie war für viele Businesses eine herausfordernde Zeit. Wie habt ihr diese Zeit genutzt?
Wir hatten für 2020 große Pläne. Pünktlich zur Messe hatten wir unseren neuen Webshop gelauncht und unsere erste eigene Publikation veröffentlicht. Als die Messe spontan ausfallen musste, und wir hatten den ersten Lockdown in Deutschland, packten wir Messepakete und schickten die Neuheiten an alte und potenzielle neue Partner. Der Plan ging nur teilweise auf. Aufgrund des neu entstandenen Hypes um Behelfsmasken waren wir bei unseren Großhändlern abgeschrieben. Der Umsatz wurde offenbar durch Gummibänder und lustig bedruckte Stoffe generiert. Für Neuheiten war keine Zeit. Erschwerend kam hinzu, dass die stationären Händler ihre Türen geschlossen halten mussten. Das erste halbe Jahr 2020 war quasi für die Katz. Gerettet hat uns der eigene Onlineshop im neuen Look und ein paar interessante Kooperationen mit Influencern. Im April und Mai erzielten wir Umsatzrekorde. Auch unsere großen Multichannel Kunden mit eigenen Onlineshops machten 2020 ein gutes Geschäft, das machte sich auch bei uns bemerkbar. Wir konnten im Vergleich zu 2019 unsere Umsätze für diese Kanäle fast verdoppeln. Wenn der Einbruch im Großhandel nicht so groß gewesen wäre, hätte es ein sehr erfolgreiches Jahr werden können. Erst in der zweiten Jahreshälfte berappelten sich unsere Partner und konnten wenigstens das Vorjahresniveau halten.
Woran arbeitet ihr derzeit?
Aktuell entwickeln wir ein neues Produkt: eine Sohle für DIY-Sneaker für Outdoor. Während unsere Originals-Sohle auch den Hausschuhbereich und alle Handarbeitstechniken abdeckt, wird diese Entwicklung den Fokus aufs Nähen legen und insgesamt etwas jünger und modischer bei den Schuhdesigns daherkommen. Der Sneaker wird mit einer breiten Zehenbox ausgestattet sein. Damit wollen wir auch die Barfußträger erreichen. Ende 2021 oder Anfang 2022 wird das Projekt in einer großen Crowdfunding Kampagne münden. Wir wollen darüber unsere Werkzeuge teilfinanzieren und hoffen auf die internationale Begeisterung der Handarbeitsszene. Außerdem befinden wir uns in einer sehr spannenden unternehmerischen Phase. Nach einer zwei Jahre währenden Suche freuen wir uns sehr, einen strategischen Partner gefunden zu haben, der im Mai als Teilhaber in die mabottie GmbH eingestiegen ist: die MEZ Group. Als international führende Anbieterin von Handarbeitsprodukten, ist die MEZ Group eine etablierte Partnerin, bei der wir Themen wie Vertrieb und Logistik in sehr guten Händen wissen. So können wir uns jetzt wieder voll auf unsere kreativen Kernkompetenzen fokussieren und das Thema DIY-Schuhe noch intensiver vorantreiben.
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