„Ich möchte anderen Frauen Mut machen, sich herauszuputzen und mit Stolz hinauszugehen.“

Jaqueline Piontek, Vintage Model

Credit: Jaqueline Piontek


Jaqueline Piontek ist eine ganz normale Frau – fast, denn in ihr wohnen zwei Seelen. Im Alltag steht sie Seite an Seite mit ihren männlichen Kameraden an Deck der deutschen Marineflotte, im privaten Leben tauscht sie Ihre Uniform gegen feminine Kleider, feine Strümpfe und posiert als Vintage-Model vor der Kamera.

Jaqueline sitzt am Schminktisch. Sie entwirrt die Lockenwickler aus ihrem Haar, zieht den letzten Lidstrich und prüft sich ein letztes Mal kritisch im Spiegel. Dann verlässt sie den Raum und begibt sich nach unten. Sie schreitet die geschwungene Treppe mit dem verschnörkelten Schmiedegeländer hinunter. Dabei funkeln die Pailletten ihres Kleides goldig im Blitzlichtgewitter. Am Treppenansatz angekommen treten Fotografen an sie heran. Sie stellt sich ihnen vor – ein zweites Mal, diesmal als Berta von Ulrich. Jaqueline Piontek ist Vintage-Model. In ihrer Freizeit schlüpft die 28-jährige Blondine gerne in historische Rollen. Mal ist sie eine Krankenschwester in der Nachkriegszeit, das PinUp-Girl am Strand oder eine sinnliche Diva aus den goldenen 20ern.

Die 1.67m große Blondine liebt vorallendingen die Mode vergangener Tage; die Kleidung und die Schönheit, die die Frauen ausgestrahlten. Die Idee, selbst als Vintage Model zu arbeiten und Fotoshootings zu machen, hatte sie schon seit langer Zeit. Die ersten Aufnahmen machte sie bereits während ihres Studiums, gemeinsam mit ihrer Freundin Gretel von Rosengart, die zwei Jahre lang in Schweden gelebt hatte. „In Schweden sind Bubikragen und Strickpullover und alles in Richtung der 50er Jahre sehr hoch im Trend“, sagt sie und gesteht, dass sie davon fasziniert gewesen sei. Leider trennten sich die Wege mit ihrer Freundin Gretel nach dem Studium, womit der Kontakt und auch damit die Idee erstmals einschlief.

 

Jaqueline zog von München in den Norden Deutschlands und setzte ihre berufliche Karriere fort. Das ein oder andere Kleidchen hing jedoch noch im Schrank und rief immer mal wieder den Wunsch nach Veränderung in Erinnerung. Mit Vorliebe verfolgte sie ihre Freundin und weitere Vintage-Models bei Instagram und Co., selbst hatte sie jedoch noch nicht den Mut nach eigenen Fotostrecken, es sollte nicht nach kopiert aussehen. Im September 2017 kehrten


Jaqueline und ihr Mann Arne aus den Flitterwochen zurück. Auf der Rückfahrt mussten sie nachts vier Stunden am Bahnhof auf den Zug warten. Während ihr Mann schlief, fasste sie dort einen Entschluss: „Ich erfinde mich neu und mache es jetzt einfach“. So wurde aus Jaqueline das Fotomodel Berta Hahn, ganz nach ihrer Großmutter. „Es kam irgendwie kein anderer Name in Frage“, sagt sie. Doch weil die meisten Vintage- Models sehr elegante Namen hatten, entschied sie sich Berta noch einmal umzubenennen und sich einen adeligeren Künstlernamen zu geben: „Berta Hahn klingt für Fremde leider eher klump. Der Name wirkt wenig ästhetisch für den Außenstehenden, der meine Oma nicht kannte.“ Inspiriert von den Romanfiguren aus Ken Folletts Jahrhundertsaga Sturz der Titanen, die vom ersten Weltkrieg bis zur Wende spielt, entschied sie sich für den Namen von Ulrich. Da auch ihr Vater Ulrich heißt, sei dieser Name irgendwie Fügung gewesen, ergänzt sie lachend.


Als erstes legten sie und Arne ein Profil für Berta an und Jaqueline begann damit, sich nach passenden Fotoshootings umzuschauen. Ihre alte Studienfreundin machte sie ganz nervös damit, dass sie nun jeden Tag etwas machen müsse, um überhaupt eine Chance zu haben. Ein Profil müsse ja gefüllt werden. Aber Jaqueline ließ sich nicht entmutigen: „Man will ja nichts erfinden und dann wieder aufgeben“. Wegen Jaquelines Hochzeit war der finanzielle Spielrahmen relativ eingeschränkt, es mussten erstmals Rechnungen bezahlt werden. Auf teure Workshops und weite Reisen zu Shootings musste sie somit zunächst verzichten. Für den Anfang taten es daher Gratisshootings, bei denen sie die fertigen Bilder als Honorar bekam und bewarb sich bei der Wahl zu Miss Vintage Flaneur 2018. Mit Erfolg, denn sie landete auf anhieb auf dem vierten Platz in der Kategorie „Normal“. Weiterhin folgte ein Fotoshooting als Weihnachtsgeschenk bei der bekannten Vintage- Fotografin Elderwood.


Die Vorher- Nachher- Verwandlung Jaqueline liebt es, am Wochenende einmal eine Stunde für sich zu haben, sich zu schminken und zu frisieren. Ihr beruflicher Alltag ist nämlich von der Uniform geprägt – ungeschminkt und auch die Haare sind nicht schön. „Im wahren Leben bin ich Soldat bei der Marine“. Dass sie modelt hängt sie aber ungern an die große Glocke. Ihre Karriere beim Militär begann sie 2009, mit gerade einmal 19 Jahren. Mittlerweile ist sie Kapitänleutnant, hat Japanisch gelernt und dreieinhalb Jahre Pädagogik an der Münchner Bundeswehr Universität studiert. Sie ist eine von 1590 Marinesoldatinnen, die sich für den Dienst auf See entschieden haben. Die wenigen, die beim Dienst von ihrer Modelkarriere wissen, finden es aber klasse. Gerne würde sie ihren Kleidungsstil auch im Alltag umsetzen, wenn man jedoch um fünf Uhr morgens aufsteht und erst um sieben abends nach Hause kommt, ist das nicht so einfach, erzählt sie.


Tief drin ist Jaqueline eine Künstlerseele. Sie zeichnet gerne und war lange auf der Suche nach etwas das kreativer ist als ihr beruflicher Alltag. Deshalb zelebriert sie jedes Fotoshooting wie ein Kunstwerk: „Es ist nicht so, dass ich mir da nur MakeUp ins Gesicht klatsche. Ein Makeover ist immer durchstrahlend für mich. Wenn das MakeUp gelingt, werden die Fotos meist auch gut“, sagt sie. „Ich glaube, mein Mann ist mein größter Fan“. Ebenfalls beim Militär, ermutigt er sie immer wieder, da er findet, dass ihre Kreativität bei der Bundeswehr schon ein bisschen stirbt. Wenn es ihm möglich ist, begleitet er seine Frau zu den Shootings, hält die Reflektoren und weil er ja auch alle ihre Problemzonen kennt, hilft er ihr schon mal bei den Aufnahmen. Da sei er voll dabei, wie ein privater Coach, erzählt sie mit einem Strahlen im Gesicht.

Als Nischenmodel ist Jaqueline nicht an die klassischen Modelmaße gebunden, dennoch kommt es gerade bei sogenannten Shootingdays, wo die Fotografen sich die schönsten Models wie auf einem Basar aussuchen, nicht selten zu unangenehmen Situationen. Aus diesem Grund hat Jaqueline bisher auch auf die Teilnahme an solchen Veranstaltungen verzichtet. Gerade weil sie keine Modelmaße hat, kann sie zunehmend mehr Fans für sich und ihre Projekte gewinnen. Ihren Followern schreibt sie immer persönlich und bedankt sich für jeden einzelnen Like: „Ich finde das höflich und zeigt, dass ich ein echter Mensch bin und lässt (glaube ich) die „Fans“ auch bei einem bleiben. Manchmal ist das schon ein bisschen viel, jeden Tag auf Social Media unterwegs zu sein, aber ich mache das gerne. Ich mag es, Fotos hochzuladen, Geschichten zu erzählen und eine Reaktion darauf zu bekommen.“ Sie möchte sich keinen Kopf mehr darum machen, was andere über sie denken und sich einfach wohl in ihrer Haut fühlen. Und das strahlt das Vintage-Model auch aus: Lebensfreude und Schönheit, abseits der heutigen Modelmaße. Mit Kleidergröße 40 und ihren weiblichen Kurven schafft sie es, dass selbst biedere Blümchenkleider aus Großmutters Zeiten schön, elegant und auch sexy wirken. Seit Jahren begleitet sie eine Songzeile von Whitney Houston, wie ein Credo: „I‘ve decided long ago never to walk in anyones shadows“. Kritik empfindet sie nur als gut, wenn sie konstruktiv ist. „Wer mir keinen Tipp gibt, wie ich es besser machen kann, wird einfach ignoriert oder ich frage höflich nach. Das bringt die meisten erst auf die Palme.“ Einmal wurde sie beispielsweise kritisiert, dass sie „gefälligst Kleidung anziehen sollte, die auch aus den Jahrzehnten kommt“, da sie jedoch fast ausschließlich Originale besitzt, weiß sie, dass dieser Kommentar völlig sinnfrei gewesen ist.

Aktfotos stehen auf Jaqulines roter Liste, auch wenn viele Fotografen für ernstere Themen schwer zu überzeugen sind. „Oft mögen die Fotografen Fotoshootings mit wenig Klamotte, ich trete aber lieber zugeknöpft als freizügig vor die Kamera. Manchmal muss man sich aber anpassen, denn gerade im Sommer sind beispielsweise eher PinUp-Bilder in Bademode gefragt.“ Zur Vorbereitung von Fotoshootings greift Jaqueline tief in ihre Erfahrungskiste. Nicht nur das MakeUp studiert die junge Frau ein, sie kennt sich auch bestens mit der Mode der 1920er bis 1950er aus. Für die Shootings reist sie auch mit einem eigenen Kostümfundus an, mit echten Unikaten aus vergangenen Tagen. Auf einer ihrer Set Card- Bilder signiert sie ganz ladylike eine alte Schultafel mit ihrem Namen. Mit feinen Handschuhen und dem Ring darüber. „Das mit dem Ring, ist so eine kleine Liebe von mir. Es verkörpert die feine Dame, die ich als Berta von Ulrich darstellen möchte. Wenn ich in meinen Kostümen bin, in einem schicken Kleid, mit Handschuhen und Hut, bewege ich mich ganz anders.“ Jaqueline mag es, wenn alles ordentlich und strukturiert bei den Shootings zugeht. „Professionalität ist mir wichtig. Wer wirklich authentisch rüberkommen und Erfolg in der Vintage Fotografie haben möchte, der muss jeden Tag am Ball bleiben, dazu gehören auch teure MakeUp-Workshops und Fotoshootings mit namhaften Fotografen. „Gerade bei den kostenfreien Shootings muss man den Fotografen etwas bieten können, was sie so noch nicht hatten“.


In naher Zukunft hat Jaqueline Festivalbesuche deutschlandweit geplant, um andere Vintage-Models endlich in persona kennenzulernen. Ausserdem steht ein weiteres Fotoprojekt zu den Kriegsjahren noch an. „Mir schwebt eine Bildserie zu Trümmerfrauen vor. Ich möchte gerne den Klinsch zwischen den Reichen und den Armen, die wirklich nichts mehr hatten, zeigen. Vielleicht an Hand einer Diva, die mitten in den Trümmern steht. Die Entertainmentbranche war im Krieg ja nach wie vor aktiv.“ Ein paar Bilder in diese Richtung konnte sie bereits machen. Mit dem Fotografen Oliver Clauser entstand eine sagenhafte Fotografie, auf der Berta vor einem Flugzeugbomber davonläuft. Sie stolziert voller Mut nach vorne, wie im wahren Leben. Denn auch wenn für dramatische Themen oft weniger Interesse besteht als für sexy Fotos, so ist es ein Herzensprojekt. Die Bilder lassen die Szene authentischer wirken.


Jaqueline ist mehr als nur ein Mannequin, sie ist Künstlerin. Oft ergänzt sie ihre Fotografien um kleine Geschichten, erklärt welche Rolle beispielsweise das Klavierspielen für Frauen hatte oder warum das Rauchen in den 20ern als besonders schick galt. Im September feierte sie ihr einjähriges Jubiläum als Vintagemodel. Auch wenn es nicht immer einfach ist, so bereut sie ihren Entschluss keinen einzigen Tag. Ganz im Gegenteil, sie möchte andere Frauen darin bestärken ihren eigenen Weg zu gehen und nicht aufzugeben. Bei ihrem ersten Shooting im Oktober 2017, war sie noch ziemlich unsicher: „Nur weil man sich in den Kopf setzt, dass man gerne vor der Kamera stehen möchte, heißt das nicht, dass die Fotos gut werden. Ich stecke selbst auch noch in den Kinderschuhen und es gibt für mich noch viel zu lernen. Mir macht die Arbeit aber sehr großen Spaß und ich bin froh, dass ich meiner Vision gefolgt bin. Jetzt muss ich nur dranbleiben.“


www.instagram.com/bertavonulrich

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